Nach dem OLG Stuttgart handelt ein Darlehensnehmer treuwidrig, wenn er trotz Kenntnis von einem bestehenden Widerrufsrecht den Darlehensvertrag über einen längeren Zeitraum weiter bedient und erst später den Widerruf erklärt (Urteil vom 7.2.2017, 6 U 40/16).
Darlehensnehmer zahlt weiter, obwohl er sein Widerrufsrecht kennt
Die Kläger hatten 2008 mit einer einheitlichen Vertragsurkunde einen Verbraucherdarlehensvertrag abgeschlossen, dessen Widerrufsbelehrung fehlerhaft war. Nach den Feststellungen des Gerichts wussten die Kläger bereits im Juli 2013, dass sie den Vertrag daher widerrufen konnten. Dennoch übten sie das Widerrufsrecht erst mehr als ein Jahr später aus, nämlich im August 2014.
Das LG Stuttgart hielt dies für unschädlich und stellte in seinem Urteil fest, dass sich der Vertrag infolge ihres Widerrufs in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt habe. Auf die Berufung der beklagten Bank hob das OLG Stuttgart diese Entscheidung auf und wies die Klage ab.
Verspätete Ausübung des Widerrufsrecht trotz früher Kenntnis ist rechtsmißbräuchlich
Die Richter des 6. Senats am OLG Stuttgart halten den Widerruf für rechtsmißbräuchlich. Der Darlehensnehmer, der in Kenntnis seines Widerrufsrechts seine vertraglichen Zahlungspflichte dennoch erfüllt, handele widersprüchlich.
Kein Fall der Verwirkung
Es komme nicht darauf an, ob die Bank von der Kenntnis des Darlehensnehmers wisse. Dies sei nur relevant für die Frage, ob der Darlehensnehmer sein Widerrufsrecht verwirke. Mit der Verwirkung eines Widerrufsrechts hatte sich der BGH zuletzt in seiner Entscheidung vom 12.07.2016 zu Az. XI ZR 564/15 befasst und dort ausgesprochen, Verwirkung setze – neben der Kenntnis des Darlehensnehmers – voraus, dass die Bank darauf vertrauen dürfe, dass der Kunde den Vertrag nicht widerrufen werde. Ein solches Vertrauen könne die Bank nicht allein darauf stützen, dass der Verbraucher sich vertragstreu verhalte.
Treuwidrigkeit auch ohne Kenntnis der Bank
Um dieses Problem geht es nach Ansicht des OLG Stuttgart hier nicht. Auch ohne Kenntnis der Bank ergebe sich die Widersprüchlichkeit des Darlehensnehmers daraus, dass er den Vertrag zunächst vorbehaltlos weiter bediene, obwohl er wisse, dass er sich vom Vertrag lösen könne, um dann im Widerspruch hierzu aus der Widerruflichkeit des Vertrages doch noch Rechtsfolgen abzuleiten.
Hierfür spreche auch der Rechtsgedanke des § 814 BGB. Nach dieser Vorschrift kann derjenige, der etwas ohne Rechtsgrund leistet, seine Leistung nicht zurückfordern, wenn er den fehlenden Rechtsgrund kennt.
Die Revision zum Bundesgerichtshof ließ das OLG nicht zu.
OLG Stuttgart führt Rechtsprechung des OLG Saarbrücken weiter
Das OLG Stuttgart setzt eine Linie in der Rechtsprechung fort, nach der ein Widerruf auch dann unwirksam (weil treuwidrig) sein kann, wenn die Bank von der Kenntnis des Darlehensnehmers nichts weiß und daher kein schutzwürdiges Vertrauen bilden kann. So hatte das OLG Saarbrücken in einem Urteil vom 03. November 2016 – 4 U 54/15 ausgesprochen, dass ein Verbraucher nicht widersprüchlich handele, wenn er in Kenntnis seines grundsätzlichen Widerrufsrechts die Darlehensraten über Jahre hinweg zahle. Dass der dortige Kläger tatsächlich wusste, dass ihm noch ein Widerrufsrecht zustehe, stand – anders als im vorliegenden Verfahren – nicht fest. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass auch das OLG Saarbrücken einem Darlehensnehmer Treuwidrigkeit vorwerfen würde, wenn dieser in Kenntnis des Widerrufsrechts den Vertrag weiter bedient.